Mittwoch, 24. September 2014
Ich rekapituliere das Interview mit Olimpia und mir ist zum Schreien, wenn ich unsere Wege vergleiche. Neben ihr fühle ich mich wie die 17-jährige Aldi-Kassiererin, die eben kurz eingewiesen wurde, um bis zur Rente ihre Zeit abzusitzen, nur eben an einer anderen Fließstrecke. OK, es ist ungerecht. In der Neurochirurgie hätte ich tatsächlich die Möglichkeit gehabt, die Oeserin bis zum Letzten auszuquetschen, statt nur auf ihre Mimik und ihre Stimmfärbung zu achten, um zu ahnen, was geht. Aber was machst du, wenn permanent die Zeit rast und immer irgendjemand etwas scheinbar Unaufschiebbares braucht, das so wunderbar von eigenen Zielen ablenkt? Dieses permanente Eintauchen in neue Schicksale übte einen gewaltigen Sog auf mich aus. Wie bei der Aldi-Kassiererin. Mir vorzustellen an einem klar abgegrenzten Thema zu forschen, reizte mich damals nicht. Am besten sollte es das gesamte Universum sein und zwar sofort, am besten sollte es grad brennen, während ich dazu stieß und mich hineinfitzte, damit jeder Schritt auch tatsächlich aufregt. Idiotisch war das. Diese abgefuckte Sehnsucht nach dem permanenten Adrenalinschub. Diese Euphorie, die so kein Orgasmus garantieren konnte. Dabei zu sein ohne eigenes Ziel. Und das einzige eigene Ziel, das ich vielleicht jemals hatte, Geruchssensationen in der Aufwachphase durch meine letzten Halluzinationen dann selbst derart infrage stellen zu müssen, war wahrscheinlich der tiefste Absturz, den ich je erlebt hatte und den abgesehen von Andreas Graf so wahrscheinlich niemand nachvollziehen kann. Der Traum von einer Geborgenheit durch einen kurzzeitigen Duft war innerhalb weniger Tage aufgebraucht. Jahrelang hatte ich Martin Witt deshalb belagert, ohne auch nur einen Schritt weiter zu kommen. Ich begriff nur, dass ich den Wind auf der Haut des Anderen mochte, diesen Duft nach dem Draußen, den die Haut einging, wenn sie aus dem Regen kam, und der mich mehr erregte, als jedes noch so komplizierte synthetische Gemisch. An welche Situation es mich erinnerte, wie tief ich dazu in meine eigene Kindheit eintauchen muss, habe ich nie zu begreifen versucht. Aber was ist schon tatsächlich Forschung? Wie konsequent musst du etwas suchen, um es irgendwann tatsächlich zu finden. Als Dirk überall nach dem Luftzug, dem Geist in meiner Wohnung suchte, fiel es mir wieder ein. Dabei sind die Fenster hier alle beunruhigend dicht, nicht wie die Peach Pine in dem Jugendstil-Landhaus, in dem ich früher wohnte, eher wie in diesem Scheiß-OP-Neubau, der dich fließstreckenmäßig von allem abschirmte, was irgendwann mal Jugend gewesen sein könnte. Wenn X. kitet, macht mich das verdammt glücklich. Kontrollverlust durch Geruchsexposition zu triggern ist das Letzte. Der Traum ist vorbei. War eben nur mal kurz so eine Idee. Pheromone werden überbewertet oder doch unterbewertet? Jedenfalls fände ich es beunruhigend mit Gerüchen traumatisierende Erlebnisse erneut aufleben zu lassen. Traumatisierend wie die Erinnerung an einen Menschen, der näher in das eigene Leben getreten war, als man zuzulassen bereit war, in einer erneuten Abhängigkeitsphase.
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