Notizen zu den ersten 30 von 90 Minuten, darunter zwei, drei Pina-Erinnerungen.
Performerin, Choreografin und Regisseurin Olimpia Scardi im Tanznetz Dresden
Olimpia Scardi fliegt nach Italien zur Familie. Den letzten Tag davor verbrachte sie mit 30 Eltern und Kindern in der Theaterschule Pegasus. Nach dem Warming Up vergingen kaum zwanzig Minuten, bis sie gemeinsam bei Schauspiel, Tanz und Musik eine choreografische Szene mit verschiedenen abstrakten Qualitätsbewegungen zu Raum und Energie improvisiert hatten. „Diese Kommunikation, dieser Respekt, das Lachen und Miteinander-Wollen sind ein Weg, unsere Welt zu verbessern“, denkt Olimpia Scardi.
Neun Jahre hatte sie als Tagesmutter gearbeitet, sollte nun aber ein Zertifikat für die deutsche Sprache machen. Nachdem sie dafür die Note Eins bekam, ergaben sich durch den Sächsischen Bildungsplan immer mehr Fragen von Seiten des Staates an sie. „Mit 54 Jahren ist mir das Leben dafür zu kurz“, sagt sie, denn sie liebt die totale Freiheit in der Theaterschule, wo ihre Arbeit verstanden wird. Sie will etwas tun, in dem ihr Herz und ihr Geist stecken, und sich nicht zu viel mit Bürokratie auseinandersetzen. „Deshalb ist Schluss“, sagt sie. Jetzt ist sie sich sicher, dass Choreografie wieder ihr Leben ist. „Das war immer mein Leben, in der Folkwang Universität und in der Palucca-Schule“, beides bekanntermaßen internationale Schulen. Ihre Schüler sind inzwischen in der ganzen Welt und haben selbst Tanzschulen. Ihnen bietet sie bald auf einer Weltreise Workshops an, in denen sie Technik und Choreografien vermittelt. Sie freut sich darauf, wieder Kontakte im Ausland – in Jakarta, Indien und Japan – zu organisieren, wenn ihre Tochter Valeska studiert.
Valeska ist Hip Hop Tänzerin, unterrichtet ebenfalls und macht im kommenden Jahr ihr Abitur. „Ich kann mir nicht vorstellen, wie die Wohnung aussieht, wenn ich wieder komme. Aber ich lasse eine Liste da, auf der alles steht, was zu kontrollieren ist“, sagt die alleinerziehende Choreografin, die bislang Aufgaben hatte, die sie an Dresden banden. Jetzt wird sie natürlich ihre Familie und andere Länder besuchen, „wenn Gott es will“, schränkt sie ein, „und alles mit Gott gut geht. Es dauert, bis du wieder wirklich auf dem Weg bist, um Workshops zu geben.“
Nach ihrem Diplom war Olimpia zehn Jahre Assistentin von Jean Cébron. Pina Bausch holte sie aus Rom zum Choreografieren ans Folkwang Tanzstudio, wo sie mit ihrem Exmann, Jean und Pina eine zeitgenössische Komposition für vier Klaviere und ein Stück von Jean aus den 40er Jahren zum Tanz von Folkwang-Schülern aufführte. Nach der Premiere gingen die Vier damals zusammen in ein italienisches Restaurant.
Olimpia saß neben Pina und sagte ihr, dass sie einen Deutsch-Kurs machen will, was Pina nachdrücklich ablehnte: „Tu das nicht Olimpia, deine Sprache ist wunderschön. Es wäre so schade, wenn du deutsch sprichst.“
Als Olimpia dann Minuten später nach dem schönsten Land fragte, das Pina jemals gesehen hatte, beschrieb die mit ihren Armen große schwarze Vögel am Strand von Marokko. Olimpia googelte nach den Vögeln ohne sie zu finden.
Am selben Abend fragte Olimpia sie, was sie in Japan im Restaurant gegessen hatte. Pina schrak zusammen, sie wollte die Geschichte einfach vergessen: Es war ein Riesenfisch, von dem sie ein Teil probieren wollte, worauf alle zwanzig Kellner zu ihr kamen. Es war ein Kugelfisch. Sie wollte davon die giftige Seite probieren. Zwanzig japanische Kellner lehnten das ab: „Verstehst du? Ein Teil ist giftig und alle Japaner wissen das.“ In erstklassigen Restaurants wird der gesamte Fisch serviert, wobei alle wissen, dass dieser Teil giftig ist, und sie wollte gerade diesen Teil probieren. Da kamen die zwanzig Kellner zu ihr. Deshalb wollte sie nicht an diesen Abend in Tokyo erinnert werden.
Ein Jahr später gebar Olimpia Valeska. „Sie war zart und schön, ein kleines Baby. Es gab wieder eine Vorstellung mit Solos von Jean Cébron und ich brachte mein Baby mit ins Theater, da ich voll stillte, sodass das Baby immer an meiner Brust war. Da kam Pina in den Theatersaal und schrie, nahm mir das Baby aus den Armen und schrie: Das ist aber ein Wunder! Ich dachte: OK, Pina ist verrückt. Sie nimmt das Baby und läuft weg - mein neugeborenes Kind. Pina sprach: Schau, der Name ist Valeska, das ist ein Wunder. Wir hatten nicht so viele Momente.
Wir waren befreundet, aber hatten jeder für sich sehr viel zu tun, haben nur telefoniert und uns in der Schule gesehen, sodass ich mich an jeden dieser Momente erinnere. Sie war exzentrisch, immer dabei, simpel, human und ein fantastischer Mensch, von dem ich so viel gelernt habe. Es war ein Glück für mich Pina kennenzulernen. Von ihr lernte ich, diese freien Gedanken, diese komplett freien kreativen Entscheidungen im Kopf zu haben und immer offen für Improvisation zu sein ohne das Publikum mitzudenken.“
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